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„1933 – Feuer!“: Der Roman von Ursula Flacke als Lektüre im Schulunterricht

Didaktische Impulse

Der Roman „1933 – Feuer!“ von Ursula Flacke ist in vielfältiger Hinsicht als Schullektüre interessant. Dabei ist nicht nur an den Deutschunterricht zu denken, in dem der Jugendroman als ‚Schwellenmedium‘ zur Einübung literaturanalytischer Praktiken gelesen und behandelt werden kann. Die vielschichtige Figurenkonstellation führt vor, wie sich die Regierungsübernahme der Nationalsozialisten auf das Alltagsleben und insbesondere auf junge Menschen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen ausgewirkt haben könnte. Diese Art der Fiktionalisierung bietet eine Reihe didaktischer Potenziale für verschiedene fachliche oder fächerverbindende Zugänge. In Auseinandersetzung mit den Figuren, die der Roman in die fiktiv-historische Situation stellt, können vielschichtige Prozesse zur Identitätsbildung angeregt werden.

Neben dem Literaturunterricht können im Religions- und Ethikunterricht anhand der Romanhandlung moralische Fragen und ethische Grundsätze diskutiert werden. Der Politikunterricht kann Aspekte der politischen Grundordnung und der politischen Teilhabe diskutieren. Für den Geschichtsunterricht ist das Thema in allen Curricula festverankert. In diesem Fach kann der Roman über die obligatorische Bearbeitung des Themas anhand von Quellen und Darstellungen hinaus durch seine fiktionale Verarbeitung der historischen Ereignisse ein historisches Verstehen vertiefen.[1]

In allen Fächern ist die Lektüre im Zusammenhang mit historischem Lernen zu sehen, denn Handlungszeit und Handlungsort verweisen auf ein historisches Thema, um das alle Zugänge kreisen: 1933 wurde innerhalb weniger Monate – und in Frankfurt besonders schnell – die Demokratie, wie sie die Weimarer Verfassung regelte, so ausgehebelt, dass die nationalsozialistische Diktatur mit ihren Folgen entstehen konnte. Der Roman kann deshalb dafür sensibilisieren, dass Demokratie nichts Selbstverständliches ist. Er zeigt, wie schnell eine demokratische Grundordnung in eine Diktatur abgleiten kann und was das für die Menschen in einem solchen System bedeutet. Insofern kann der Roman auch ein Medium für das Demokratielernen sein.

Selbst in Bezug auf das wichtige Thema ‚Holocaust‘ bietet der Roman Potenzial, obwohl er dieses Geschehen nicht thematisiert. Um den Völkermord als ein Ereignis zu markieren, das durch menschliches Handeln und Denken entstanden ist, muss die Zeit davor einbezogen werden. Dabei ist es mit Blick auf das Demokratielernen wichtig, aufzuzeigen, dass die zwölf Jahre des nationalsozialistischen Regimes nicht gleich und dass die Entwicklungen keinesfalls zwangsläufig waren, sondern dass es verschiedene Kipppunkte gab. Ebenso wichtig ist es, die Rolle nicht nur der zustimmenden, sondern auch der schweigenden Bevölkerung einzubeziehen, d.h. den Alltag der Menschen, die nicht direkt von antisemitischer Diffamierung betroffen waren. Nur so kann verstehbar werden, wie sich die NS-Diktatur auf das Leben aller Menschen auswirkte und warum die Masse der Bevölkerung den Holocaust nicht verhinderte. Für Jugendliche ist es dabei hilfreich, wenn die Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen einbezogen werden.[2]

Eine Entscheidung gegen die Lektüre sollte auf keinen Fall aus der Argumentation erfolgen, dass der Nationalsozialismus zu oft und in zu vielen Fächern behandelt werde und die Schülerinnen und Schüler des Themas überdrüssig seien. In der MEMO-Studie 2023[3] geben 9,7% der befragten Schülerschaft an, dass sie das Thema in der Schule überhaupt nicht, 23,7% eher wenig behandelt hätten. In der Studie wird vielmehr ein erstaunlich hohes Interesse Jugendlicher an historischen Themen (insbesondere des Nationalsozialismus) deutlich, das mit einem Bedürfnis verbunden wird, gerade die Rolle der ‚unbeteiligten‘ bzw. nicht-verfolgten deutschen Bevölkerung zu bearbeiten.

Da die Studie auch zeigt, dass trotz des großen Interesses das Sachwissen nicht immer sehr ausgeprägt ist, ist eine vertiefende Erarbeitung der Strukturen und Ereignisse der NS-Zeit auf einer sachanalytischen Ebene angebracht. Dafür bietet der Roman vielfältige Ausgangspunkte. Ebenso kann die in der Studie deutlich gewordene große Sorge vieler Jugendlicher um den Zusammenhalt in der Gesellschaft sowie die Angst vor Diskriminierungserfahrungen ein weiterer Anlass für eine unterrichtliche Arbeit mit der Lektüre sein. Dabei sollten Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Vergleich der damaligen Situation mit heute diskutiert werden, um dafür zu sensibilisieren, wie fragil Demokratien sind, aber auch wie grundlegend anders die Situation heute ist. Zusätzlich kann der Wunsch nach mehr Teilhabe an der Ausgestaltung der Erinnerungskultur, der ebenfalls in der Studie wahrgenommen wurde, als Anlass genommen werden, mit Schülerinnen und Schülern in diese Richtung zu arbeiten.[4]

Die Arbeit im Unterricht kann folglich über unterschiedliche Zugänge und Schwerpunkte gestaltet werden. Für die Planung von Unterricht werden einzelne didaktische Schwerpunktanalysen bereitgestellt, die für eine Unterrichtplanung je nach Bedarf herangezogen werden können. Sie können unabhängig von einander gelesen und genutzt werden, so dass eine fortlaufende Lektüre kleinere Redundanzen hervorbringen kann.

 


[1] Vgl. Sascha Feuchert: Fiktionale Holocaustliteratur als Chance im Geschichtsunterricht. In: GWU 66 (2015), S. 437-449. 

[2] Vgl. Andrea Hoffmann: Junge Menschen begegnen Vergangenheit – Geschichtsvermittlung zwischen Opposition, Langeweile und Beteiligung. In: Bevor Vergangenheit vergeht. Für einen zeitgemäßen Politik- und Geschichtsunterricht über Nationalsozialismus und Rechtsextremismus. Hrsg. v. Thomas Schlag. Schwalbach/Ts. 2005, S. 92-99, hier S. 97.

[3] Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft: Multidimensionaler Erinnerungsmonitor 2023. Jugendstudie. Bielefeld 2023. (online bestellbar unter: https://www.stiftung-evz.de/was-wir-foerdern/handlungsfelder-cluster/bilden-fuer-lebendiges-erinnern/memo-studie/#c4578 (letzter Abruf 13.3.2023)

[4] Vgl. ebenda S. 10f., 15, 29 und S. 52, 44, 47f.

  • Historisches Lernen durch literarisches Lesen

    Für Nicht-Geschichtslehrkräfte wird mit diesem Abschnitt erklärt, wie historisches Lernen funktioniert, wie es im Prozess des literarischen Lesens nahezu automatisch abläuft und wie es auch in anderen Fachkontexten unterstützt werden kann.

  • Der Roman als Medium der Geschichts- und Erinnerungskultur

    In diesem Abschnitt wird der Roman als geschichtskulturelles Medium charakterisiert und ein Unterrichtseinsatz als eine Manifestation der sich stetig wandelnden Erinnerungskultur profiliert. Dieser Ansatz kann gerade in Verbindung von Literatur- und Geschichtsunterricht interessant sein bzw. im Geschichtsunterricht die Förderung geschichtskultureller Kompetenz einbeziehen. Er bietet sich auch als Abschluss und Erweiterung anderer Zugänge an.