09. Oktober 1923: 100. Jahrestag der Gründung der „Preußischen Bergwerks- und Hütten-AG“
Am 09. Oktober 1923 verabschiedete der preußische Landtag ein Gesetz, mit dem der gesamte preußische Staatsbesitz an Bergwerken, Eisenwerken, Salinen – das heißt Anlagen zur Gewinnung von Speisesalz – sowie Bernsteinwerken in eine Aktiengesellschaft überführt wurde: Die „Preußische Bergwerks- und Hütten-AG“, ein Staatsunternehmen, war geboren. Die Nationalsozialisten um den preußischen Innenminister Hermann Göring begannen noch 1933 – nur wenige Monate nach der Machtübernahme – starken Einfluss auf die „Preussag“ auszuüben. Spätesten nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs beschäftigte der „kriegswichtige“ Konzern Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter, in den letzten Kriegsmonaten auch KZ-Häftlinge. Die Geschichte der „Preussag“ scheint sinnbildlich für die zahlreicher deutscher Unternehmen zu stehen, die während der Zeit des Nationalsozialismus Schuld auf sich luden, und im gesellschaftlichen Klima der neu entstandenen Bundesrepublik, das zwischen Verdrängung und Entnazifizierung oszillierte, mit dem Umgang mit der eigenen Geschichte und um neue wirtschaftliche Tätigkeitsfelder rangen. Nach einer Neuausrichtung zu Beginn der 2000er-Jahre stieg das Unternehmen unter dem Namen „TUI“ zum weltweit größten Touristikkonzern auf.
Entstehung und Geschäfte vor 1933
Mit dem Gesetz vom 09. Oktober reagierte der preußische Landtag auf mehrere Berichte über Korruption aus den Abbaugebieten. Bereits im Jahr der Firmengründung im 1923 beschäftigte der Konzern, der sich in erster Linie dem Kohle- und Erzbergbau widmete, etwa 31.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sechs Jahre später vereinigte sich die „Preussag“ mit verschiedenen anderen preußischen Staatsunternehmen zu einer Dachgesellschaft, der „Vereinigten Elektrizitäts- und Bergwerks AG Berlin“, an der das Land Preußen weiterhin Anteile hielt. 1930 begann die „Preussag“, die weiterhin unter diesem Namen agierte, mit der Erschließung von Erdölquellen und geriet im selben Jahr in schwere finanzielle Nöte. Zur Schließung von Standorten kam es, nicht zuletzt wegen der komplexen regionalpolitischen Interessen in Preußen, jedoch nicht.
Die „Preussag“ zwischen 1933 und 1945
Die finanzielle Krise bot den Nationalsozialisten nach der Machtübernahme infolge des 30. Januar 1933 einen leichten Zugang zur „Preussag“. Rasch besetzten sie unter der Führung des preußischen Innenministers Hermann Göring entscheidende Positionen in der Unternehmensführung und im Aufsichtsrat mit parteigetreuen ehemaligen Bergbeamten. Noch im selben Jahr wurde der Hitlergruß für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verpflichtend und das Hakenkreuz als Symbol der nationalsozialistischen Bewegung ins Firmenlogo integriert. Die „Preussag“ profitierte in dieser Zeit entscheidend von den Wachstumsimpulsen durch die aggressive Kriegsrüstungspolitik und die Maßnahmen der Nationalsozialisten zum Bau von Autobahnen. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges am 01. September 1939 erhielten zahlreiche Unternehmenszweige die Einstufung „kriegswichtig“. So lieferte die „Preussag“ unter anderem Splitterbomben und Granathülsen, das Tochterunternehmen „Nerag“ auch Motorenöle an die Wehmacht. Spätestens ab September 1939 beschäftigte die „Preussag“ Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter, die in den ersten Kriegsmonaten Schätzungen zufolge rund 40% aller Arbeitskräfte des Konzerns stellten. Im Zuge der gezielten alliierten Luftangriffe auf deutsche Schlüsselindustrien wurden im Juni 1944 Werke der Unternehmenstochter zerstört. Mit dem Ziel, die Kriegsproduktion so schnell wie möglich wiederherzustellen, wurde das KZ-Außenlager Hannover-Misburg, ein Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme, errichtet. Dort mussten Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter für die „Preussag“-Tochter „Deurag-Nerag“ schuften. Bis zu 1200 Häftlinge waren im Außenlager Hannover-Milseburg inhaftiert, von denen zwischen 600 und 800 im November 1944 ins Hauptlager rücküberführt werden mussten, weil sie nicht mehr arbeitsfähig waren.
Neuanfang der „Preussag“ in der jungen Bundesrepublik
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die „Preussag“ als „schwerindustrieller Arm des NS-Apparats“ im Zuge der alliierten Besatzung unter Zwangsverwaltung durch die Siegermächte gestellt. Da die Zonengrenze den Kontakt zur Berliner Hauptverwaltung vor dem Hintergrund der zunehmenden Entfremdung zwischen der Sowjetunion und den Westalliierten erschwerte, wurde das Unternehmen ab 1952 offiziell von Hannover aus geleitet. Die Betriebsteile in der sowjetischen Besatzungszone wurden unterdessen demontiert, alles Übrige ging in Volkseigentum über. 1952 wurde die „Preussag“ vollständig aus der alliierten Verwaltung entlassen und entfernte sich allmählich von der wirtschaftlich zunehmend unrentablen Steinkohleförderung. In den Jahren und Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg entsprach die Beschäftigung des Unternehmens mit der eigenen NS-Vergangenheit dem gesellschaftlichen Klima des Schweigens. Die Bundesregierung unter Kanzler Konrad Adenauer (CDU) begann 1959 mit dem Verkauf von Volksaktien an über 200.000 Aktionärinnen und Aktionäre. Die Privatisierung der „Preussag“ war die erste eines Staatskonzerns in der Geschichte der Bundesrepublik. In den 1960er-Jahren erschloss das Unternehmen neue Tätigkeitsfelder in den Bereichen Chemie, Stromproduktion und Stahlerzeugung und führte Erdölbohrungen unter anderem in Marokko und im Jemen durch. Infolge der Übernahme des Schifffahrtskonzerns „Hapag-Loyd“ im Jahr 1997 entwickelte sich die „Preussag“ zu einem Dienstleistungsunternehmen, das ab 2002 unter dem Namen „TUI AG“ zum weltweit führenden Touristikunternehmen aufstieg.