10. August 1948: 75. Jahrestag des Beginns des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee
Vom 10. bis zum 23. August des Jahres 1948 tagten die Ministerpräsidenten des in der Gründungsphase befindlichen westdeutschen Nachkriegsstaates auf der im bayerischen Chiemsee gelegenen Herreninsel. Im Rahmen der Beratungen erarbeitete das Gremium neben grundlegenden Richtlinien und Hinweisen einen 149 Artikel umfassenden Verfassungsentwurf. Dieser wurde wiederum den Verfassungsverhandlungen im Parlamentarischen Rat zugrunde gelegt, der zwischen September 1948 und Mai 1949 tagte und das Grundgesetz in seiner heutigen Form beriet und verabschiedete. Die während des Verfassungskonvents im Alten Schloss Herrenchiemsee geschaffene Grundlage prägt dementsprechend sowohl den Aufbau als auch die gesellschaftspolitische Realität in der Bundesrepublik Deutschland bis heute.
Vorgeschichte der Beratungen auf Schloss Herrenchiemsee
Mit zentralen Stationen in Form der Londoner Sechsmächtekonferenz im Frühjahr, der Währungsreform in den drei Westzonen am 20./21. Juni, der sich anschließenden Blockade des Personen- und Güterverkehrs nach Westberlin durch die Sowjetunion sowie der Übergabe der „Frankfurter Dokumente“ an die Ministerpräsidenten der Westzone am 1. Juli als Gründungsauftrag für einen westdeutschen Nachkriegsstaat, markierte das Jahr 1948 das endgültige Scheitern der interalliierten Viermächtepolitik in Bezug auf das 1945 besiegte Deutschland. Auf der Niederwald-Konferenz im hessischen Rüdesheim Ende Juli/Anfang August 1948 akzeptierten die Ministerpräsidenten der westlichen Besatzungszonen die in den „Frankfurter Dokumente“ geforderte Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung erstmals inhaltlich. Um die Ausarbeitung der Verfassung für den westdeutschen Nachkriegsstaat durch den „Parlamentarischen Rat“ vorzubereiten, beriefen die westdeutschen Ministerpräsidenten zunächst den sogenannten „Verfassungsausschuss der Ministerpräsidenten-Konferenz der westdeutschen Besatzungszonen“ ein, der wegen seiner Kulisse im Alten Schloss Herrenchiemsee als „Verfassungskonvent von Herrenchiemsee“ in die bundesrepublikanische Gründungsgeschichte einging.
Teilnehmer und Verlauf des Verfassungskonvents
Am Verfassungskonvent nahmen elf Delegierte aus den drei Westzonen teil, die wiederum von 14 Sachverständigen begleitet und unterstützt wurden. Darüber hinaus nahm Otto Suhr (SPD) als Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung Berlin als Gast am Konvent teil. Zum Vorsitzenden wählten die Mitglieder des Konvents den Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Anton Pfeiffer (CSU). Pfeiffer, geboren 1888, studierte und promovierte im Bereich moderne Fremdsprachen und war 1945 Gründungsmitglied der Christlich-Sozialen Union. 1946 wurde er zum Sonderminister für Entnazifizierung in Bayern ernannt. Auch im Parlamentarischen Rat prägte er die Verfassungsverhandlungen als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion entscheidend. Als Delegierter Hessens wurde der ehemalige Widerstandkämpfer, Hochschullehrer und Publizist Hermann Brill (SPD) auf die Herreninsel entsandt. Zwischen Juli 1946 und September 1949 war Brill außerdem Chef der Hessischen Staatskanzlei.
Die Verfassungsverhandlungen auf der Herreninsel waren durch den Rahmen des im Nachkriegsdeutschland geltenden Besatzungsrechts begrenzt. In Form der „Frankfurter Dokumente“ hatten die westalliierten Siegermächte die Vision einer föderalistischen, rechtsstaatlichen Demokratie zur unveränderbaren Perspektive des westdeutschen Nachkriegsstaates erhoben. In die Verhandlungen im Schloss Herrenchiemsee floss neben jenen von außen festgelegten Parametern auch das Bestreben der Teilnehmer ein, die Perspektive auf eine mittelfristige Wiedervereinigung aller Besatzungszonen zu einem geeinten Deutschland zu wahren. Diesem Gedankengang des provisorischen Charakters des zu gründenden Weststaates folgend, wurde im Rahmen des Verfassungskonvents die Terminologie von „Grundgesetz“ statt Verfassung und „Parlamentarischem Rat“ statt „verfassungsgebender Versammlung“ endgültig festgesetzt.
Ergebnisse der Verhandlungen auf der Herreninsel
Auf 95 Seiten hielten die Teilnehmer des Konvents die Ergebnisse ihrer Beratungen fest. Der sogenannte „Chiemseer Entwurf“ umfasste 149 Artikel mit möglichen Alternativen für das Grundgesetz der Bundesrepublik. Die Bezeichnung der endgültig im Parlamentarischen Rat zu erarbeitenden Verfassung als „doppeltes, weil räumliches und zeitliches Provisorium“ hat ihren Ursprung auf der Herreninsel. Zu den Kerngedanken der Abgeordneten des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee, die tatsächlich ins Grundgesetz übernommen wurden, zählt mit der Schaffung eines Parlaments (Bundestag) und einer Länderkammer (Bundesrat), der Abhängigkeit der Bundesregierung vom Parlament sowie der politisch eher unbedeutenden Position des Bundespräsidenten als Staatsoberhaupt entscheidende Wesensmerkmale unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
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