14. März 2003: 20. Jahrestag der Vorstellung der „Agenda 2010“
Vor 20 Jahren wurde es vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Bundestag vorgestellt: Bei der „Agenda 2010“ handelt es sich um eines der umstrittensten Reformprojekte der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ersonnen, um im Angesicht von großer Arbeitslosigkeit und ökonomischer Stagnation Wirtschaftswachstum zu fördern und den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren, sind Inhalte und Folgen des rot-grünen Programmes noch heute Gegenstand heftig geführter Kontroversen.
Hintergrund der „Agenda 2010“
Bereits die Bezeichnung „Agenda 2010“ verweist auf den im Jahr 2000 von den europäischen Staats- und Regierungschefs in Lissabon gefassten Beschluss, die EU bis zum Jahr 2010 im Rahmen der sogenannten „Lissabonner Strategie“ zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt“ zu entwickeln. Die „Agenda 2010“ konzentriert sich hierbei vor allem auf die Bewältigung der sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts abzeichnenden Arbeitsmarktprobleme durch den demografischen Wandel in Deutschland. Sie wurde als Teil der Regierungserklärung von Bundeskanzler Schröder (SPD), der in diesem Jahr in der Koalition mit Bündnis 90/Die Grünen seine zweite Amtszeit antrat, am 14. März 2003 verkündet und im Juni des Jahres trotz heftiger innerparteilicher Diskussionen auf den Sonderparteitagen der Regierungsparteien angenommen.
Kernideen und zentrale Maßnahmen
Zu den identitätsstiftenden Elementen des Reformprogramms gehören in erster Linie angebotsorientierte Maßnahmen, also solche, die auf die Verbesserung der Angebotsbedingungen und eine Erhöhung der Rentabilität von Unternehmen abzielen, um das Wirtschaftswachstum anzuregen. Konkret wurden arbeitsrechtliche Deregulierungen, die Schaffung von ausbildungs- und bildungspolitischen Anreizen wie die BAföG-Reform, eine Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung und eine Ergänzung der Rentenformel um einen Nachhaltigkeitsfaktor umgesetzt, um die wirtschaftlichen Folgen des demografischen Wandels zu dämpfen. Herzstück des Projekts waren die „Hartz-Reformen“ („Hartz I bis Hartz IV“), mit denen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum „Arbeitslosengeld II“ („Hartz IV“) zusammengeführt wurden. Sie wurden nach Inkrafttreten der Verordnung direkt bei den Agenturen für Arbeit verwaltet. Insbesondere durch die im Regelfall auf zwölf Monate verkürzte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes sollte in Deutschland ein „aktivierender Sozialstaat“ nach dem Vorbild des vom britischen Premierminister Tony Blair (Labour-Partei) geprägten „Third Way“ geschaffen werden.
Für die deutsche Sozialdemokratie stellte die „Agenda 2010“ einen einschneidenden Kurswechsel dar, mit Oskar Lafontaine erhielt die innerparteiliche Kritik, die zu Parteiaustritten von örtlich bis zu 4% der Mitglieder führte, ein prominentes Gesicht. Die damalige Oppositionsführerin Angela Merkel (CDU) lobte die „Agenda 2010“ in ihrer Regierungserklärung aus dem Jahr 2005 hingegen als mutige Maßnahme, um die deutschen „Sozialsysteme an die neue Zeit anzupassen“.
Auswirkungen der „Agenda 2010“
Besonders die Auswirkungen und der Erfolg der „Agenda 2010“ werden bis heute kontrovers diskutiert. Im Jahr der Verabschiedung des Reformprogrammes waren deutlich mehr als vier Millionen, 2005 sogar knapp fünf Millionen Deutsche arbeitslos gemeldet. Es kann positiv betrachtet werden, dass diese Zahl bis 2017 auf 2,8 Millionen fiel. Darüber hinaus schreiben es einige Wirtschaftswissenschaftler der „Agenda 2010“ zu, dass Deutschland heute einen der flexibelsten Arbeitsmärkte Europas aufweist. Auch die Umstrukturierung der Arbeitsbehörden und die Schaffung von 2,7 Millionen unbefristeten sozialversicherten Jobs können als Erfolg gewertet werden. Kritiker bemängeln jedoch, dass die Einkommensungleichheit unter anderem durch eine Vergrößerung des Niedriglohnsektors durch die Reformen zugenommen habe. Sie bringen außerdem an, dass die Zahl der von Armut bedrohten Empfänger des Arbeitslosengeld II seit 2003 gestiegen ist. Unbestreitbar ist jedoch, dass die „Agenda 2010“ und die „Hartz-Reformen“ Deutschland und seinen Arbeitsmarkt seit ihrer Einführung vor 20 Jahren maßgeblich geprägt haben.