16. Juni 1961: 61. Jahrestag der Entführung des Frankfurter Gewerkschafter und Journalisten Heinz Brandt in die DDR
Freitag, der 16. Juni 1961: Dieser Tag sollte eine Zäsur im Leben von Heinz Brandt darstellen. Brandt, in seinem früheren Leben kommunistischer Widerstandskämpfers gegen den Nationalsozialismus und später vehementer Gegenspieler des SED-Regimes, wurde in eine Falle gelockt. Der vermeintlich harmlose Besuch des Gewerkschafters bei einer befreundeten Familie während einer Dienstreise in West-Berlin wurde ihm zum Verhängnis. Durch einen mit Betäubungsmitteln präparierten Whiskey wurde Brandt bewegungsunfähig gemacht und in die DDR verschleppt. Brandts anschließender Leidensweg war jedoch bei weitem keine Einzeltat des DDR-Regimes, sondern war vielmehr Teil einer über Jahrzehnte optimierten Strategie zur Bekämpfung unliebsamer und regimekritischer Menschen auch außerhalb des Staatsgebiets der DDR sowie der Sowjetunion.
Das bewegte Leben des Heinz Brandt bis zu dessen Entführung
Heinz Brandt war Sohn einer jüdischen Familie. Er studierte Volkswirtschaft in Berlin und trat 1931 der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei. Nachdem die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, betätigte er sich publizistisch im Untergrund und gab die illegale kommunistische Betriebszeitung „Siemens-Lautsprecher“ mit heraus. Er wurde dafür 1934 zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt und nach Ende seiner regulären Haftzeit 1940 in das Konzentrationslager (KZ) Sachsenhausen gebracht. 1942 wurde er ins KZ Auschwitz deportiert. Neben dem täglichen Kampf ums Überleben beteiligte sich Brandt trotz der dauerhaft tödlichen Bedrohung an der Dokumentation der Vernichtungsprozesse in Auschwitz. Ohne Brandts Aufzeichnungen, die heimlich aus dem Lager herausgeschmuggelt werden konnten, hätten in den Auschwitzprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg Teile des unbändigen Vernichtungswillens der Nationalsozialisten nicht rekonstruiert werden können. Brandt wurde im Januar 1945 aufgrund des raschen Vorrückens der Roten Armee in Richtung Westen in das KZ Buchenwald bei Weimar „evakuiert“ und dort befreit. Zurück in Berlin bekam Brandt eine Anstellung bei der Stadtverwaltung als Mitarbeiter des unter der Leitung von Karl Raddatz stehenden Hauptausschusses für die Opfer des Faschismus. Ende 1945 wurde er Abteilungsleiter für Pressearbeit bei der KPD in Berlin und anschließend für die SED. 1949/50 besuchte er die Parteihochschule „Karl Marx“. Anschließend wurde Brandt zum Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin, zuständig für Propagandaschulungen und später für Agitation, ernannt. Aufgrund seines „unmoralischen Verhaltens“ während des Streiks am 16. Juni 1953 und verschiedenen anderen widerständischen Handlungen wurde er 1955 mit einem Funktionsverbot belegt und zwangsversetzt. Brandt erfuhr bei einer Reise nach Moskau, dass sein Bruder während Stalins brutalen „Säuberungen“ ermordet und seine Schwester ins Exil nach Sibirien verbannt worden war. Er floh daraufhin aus Angst im September 1958 in die Bundesrepublik. Er arbeitete anschließend als Redakteur beim IG-Metall-Publikationsorgan „Metall“.
Die Entführung
Die Entführung von Heinz Brandt war minutiös und akribisch geplant. In einem späteren Interview erinnerte sich Brandt an die Motivation seiner Entführer:
„Ich wurde dann von den Staatssicherheitsleuten in Ostberlin erwartet, und die drangen auf mich ein, ich sollte erklären, ich sei freiwillig gekommen, angewidert von den Kriegsvorbereitungen in der Bundesrepublik. Offenbar wollten sie mich als Kronzeugen missbrauchen für die Notwendigkeiten des Mauerbaus.“
Die Entführung schlug in der internationalen Berichterstattung hohe Wellen und war keineswegs ein Einzelfall. Deutlich wird an diesem Fall, dass nicht nur ehemalige NS-Täter Opfer der Entführungen und Verschleppungen wurden, sondern jede Form der Regimekritik gegenüber der DDR-Führung potenziell tödlich enden konnte.
Entführungen in die DDR – Praktik der Einschüchterung und der Machtdemonstration
Die Entführungen als Praktik der Einschüchterung und der Machtdemonstration der SED-Herrschaft erreichten ihre Hochphase in den 1950er Jahren. Zwar stellten Verschleppungen und Entführungen von Regimegegnerinnen und Regimegegner sowie Regimekritikerinnen und Regimekritikern eher ein Randphänomen dar, waren aber fester Bestandteilt der SED-Abschreckungspolitik. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR, das sich selbst als „Schild und Schwert der Partei“ verstand, agierte in diesem Sinne auch zur Herrschaftssicherung außerhalb der eigenen Grenzen. Die propagandistische Botschaft der Verschleppungen und Entführungen, die auf die Traditionen und Praktiken der sowjetischen „Tschekisten" aufbauten, war klar: Seid ihr gegen uns, finden und bestrafen wir euch, egal, wo ihr euch in der Bundesrepublik aufhaltet. Kritiker der Partei sollten aus dem Verkehr gezogen werden. Rund 400 Menschen wurden bis Mitte der 1960er Jahre in die DDR entführt oder verschleppt. Die Täter waren Teil der Staatssicherheit der DDR (Stasi), Mitglieder des sowjetischen Auslandsgeheimdienstes KGB und Polizisten der DDR-Grenzsicherung. Insgesamt wird in der aktuellen Forschungsliteratur von maximal 700 Fällen von Entführungen und Verschleppungen ausgegangen. Vor allem wurden Menschen, aufgrund der geografischen Lage, aus West-Berlin, das inmitten des DDR-Staatsgebietes lag, entführt. Die bekanntesten Entführungsopfer waren neben dem kommunistischen Widerstandskämpfer Heinz Brandt der ehemalige SS-Obersturmbannführer Paul Johannes Zapp alias Friedrich Böhm (verantwortlich als Anführer des Sonderkommandos 11a für Massenmorde an ukrainischen Zivilisten im Zweiten Weltkrieg) und der Jurist Walter Linse (verantwortlich als Beauftragter der Industrie- und Handelskammer für die „Arisierung“ jüdischer Unternehmen in der NS-Zeit und später Mitarbeiter des West-Berliner Untersuchungsausschusses Freiheitlicher Juristen (UFJ), die Menschenrechtsverletzungen in der DDR dokumentierten).
Verurteilung, Haft und Freilassung
Nach rund einjähriger Isolationshaft und Verhören in der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen wurde Heinz Brandt 1962 wegen „schwerer Spionage in Tateinheit mit staatsgefährdender Propaganda und Hetze im schweren Fall“ zu 13 Jahren Zuchthaus verurteilt. Es folgten zwei Jahre Haft in der Sonderhaftanstalt Bautzen II. Eine globale Kampagne seines Arbeitgebers IG Metall unter der Führung von Otto Brenner, von Linkssozialisten, Amnesty International und Bertrand Russell führte 1964 zu seiner Freilassung. Zeitlebens setzte sich Brandt für eine Umsetzung eines menschenrechtachtenden Sozialismus und gegen die sich bereits Ende der 1970er Jahre in ersten Zeichen andeutende Klimakatastrophe ein, mit der wir zunehmend konfrontiert sind.