26. August 1921: 100. Todestag von Matthias Erzberger
Mit Mut und Weitblick für die Festigung der Demokratie der Weimarer Republik
Matthias Erzberger war einer der Gründerväter der Weimarer Republik, galt als Schrittmacher des Parlamentarismus und beendete mit seiner Unterschrift unter den Waffenstillstandsvertrag den Ersten Weltkrieg. Im Spätsommer 1921 wurde der konservative Demokrat von zwei Rechtsradikalen wegen seines Einsatzes für den Frieden ermordet. Erzberger erkannte, dass eine Weigerung, den Versailler Vertrag zu unterzeichnen, mehr Leid gebracht und politisch die Lage noch weiter destabilisiert hätte. Er haftete mutig quasi mit seiner Person und seinem Leben für die äußerst unpopuläre Handlung der Vertragsunterzeichnung in Versailles.
„Sein Leben lang kämpfte er für das, was er für richtig hielt. … Dass keine Drohung und kein Rückschlag seine optimistische und in die Zukunft gerichtete Grundhaltung und seinen Glauben an Gott und an das Gute erschütterte, beeindruckte selbst sein Feinde.“ (Benjamin Dürr)
Matthias Erzberger wurde 1875 in Buttenhausen auf der Schwäbischen Alb als Sohn eines Schneiders und Postboten geboren. Nach der Schulzeit an einer katholischen Volksschule folgten eine zweijährige Lehrerausbildung und danach ein Studium am katholischen Lehrerseminar in Saulgau. 1894 legte er als Jahrgangsbester die Volksschullehrerprüfung ab. Der katholische Glaube und seine religiösen Anschauungen wurden damit zum Fundament seines späteren politischen Denkens und Handelns. Während seiner Schuldienstzeit im Württembergischen ab 1894 schrieb er für das katholische Deutsche Volksblatt in Stuttgart, engagierte sich in der Zentrumspartei und war Mitbegründer der Christlichen Gewerkschaften in Mainz 1899. 1900 heiratete er in Rottenburg Paula Eberhard, aus deren Ehe drei Kinder hervorgingen. 1903 wurde Erzberger als 28-Jähriger und damals jüngster Abgeordneter für die Zentrumspartei in den Reichstag gewählt, dem er bis 1918 angehörte. Erzberger wurde bereits nach kurzer Zeit zu einem anerkannten Experten auf den Gebieten der Militär-, Kolonial- und Finanzpolitik und bestimmte die Diskussionen und Entscheidungsfindungen in diesen Bereichen im Reichstag maßgeblich mit. Außerdem setzte er sich für eine stärkere Parlamentarisierung ein. Parallel zu seiner Abgeordnetentätigkeit war er als vielschreibender Publizist u.a. für das Deutsche Volksblatt und das Zentrumsorgan Germania tätig, um damit auch seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Von seinen unentwegten Attacken auf die Sozialdemokraten, die vor allem aus seiner tiefen religiösen Orientierung herrührten, rückte er erst im Laufe des verlustreichen Krieges ab. Auch von seiner zu Kriegsbeginn geäußerten Befürwortung von Gebietsannexionen nahm er Abstand, indem er im Juli 1917 in einer von ihm mit initiierten Resolution des Reichstags (Zentrum, Sozialdemokraten und Liberale, der späteren „Weimarer Koalition“) einen Frieden ohne Annexionen forderte.
Als Staatssekretär im Kabinett Prinz Max von Baden, dem letzten kaiserlichen Reichskanzler, wurde der Zivilist Erzberger am 6. November 1918 zum Leiter der Waffenstillstandskommission ernannt. Die Oberste Heeresleitung, die eigentlich hier in der Pflicht stand, den Waffenstillstand zu unterzeichnen, hatte sich der Verantwortung entzogen. Erzberger unterzeichnete am 11. November 1918 als Erster der vierköpfigen deutschen Delegation den Waffenstillstand von Compiègne, der die Kampfhandlungen des Ersten Weltkrieges am selben Tag um 11 Uhr französischer Zeit beendete. Durch seine Unterschrift fanden die politischen Gegner schnell einen Schuldigen für den aus ihrer Sicht schmachvollen Vorgang, denn das „im Felde unbesiegbare Heer“ sei vom inneren Feind damit „hinterrücks erdolcht“ worden – der Beginn der sogenannten Dolchstoßlegende. Spätestens nach der Unterzeichnung parteiübergreifend als schmachvoll und kaum hinnehmbar empfundenen Versailler Vertrags im Sommer 1919 verschärfte sich die Hetze gegen Erzberger von rechtsradikalen antidemokratischen Kräften, die ihn als „Novemberverbrecher“ und „Volksverräter“ diffamierten. Erzberger wurde zum Feindbild. Im Januar 1920 wurde Erzberger bei einem Mordanschlag nur leicht verletzt. Allerdings hinterließ dieser Angriff sowie ein Strafprozess wegen Beleidigung im März desselben Jahres tiefe Spuren. Im selben Monat trat er als Finanzminister zurück und gab sein Mandat ab.
Als Reichsfinanzminister im Kabinett von Reichskanzler Gustav Bauer (SPD) hatte er zuvor ab Juni 1919 die Verantwortung für die finanzielle Hinterlassenschaft des Krieges übernommen und eine Finanzreform in Gang gesetzt, deren Grundsätze bis heute fortwirken. Die Finanz- und Steuerverwaltung wurde in nur wenigen Monaten komplett neu reformiert, u.a. wurde eine reichseinheitliche Abgabenordnung geschaffen, eine Vereinheitlichung des Steuersystems und Steuererhöhungen für Vermögende festgelegt, wodurch er zusätzlich zur Zielscheibe rechtsradikaler Kreise wurde.
Im Juni 1921 kündigte er für den Herbst seine Rückkehr in die aktive Politik an, wozu es jedoch nicht mehr kommen sollte. Am 26. August 1921 wurde er von den Freikorpsmitgliedern Heinrich Tillessen und Heinrich Schulz, die im Auftrag der rechtsradikalen „Organisation Consul“ handelten, ermordet.
Die Trauerfeierlichkeit für Matthias Erzberger am 31. August 1921 gestaltete sich zu einer politischen Kundgebung. Reichskanzler Joseph Wirth von Erzbergers Zentrumspartei sprach die Trauerrede. Am 31. August fanden in hunderten deutschen Städten Kundgebungen gegen die Ermordung statt, die größte mit rund 500.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Berliner Lustgarten.
In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in vielen deutschen Städten Straßen und Plätze nach Matthias Erzberger benannt. Erzbergers Geburtshaus in Buttenhausen wurde zu einer Erinnerungsstätte umgestaltet. Am 26. August 2011 erhielt der Festsaal des Bundesfinanzministeriums in Berlin den Namen „Matthias-Erzberger-Saal“. Am 23. März 2017 gab Bundestagspräsident Norbert Lammert bekannt, dass das vom Bundestag genutzte Gebäude Unter den Linden 71 „Matthias-Erzberger-Haus“ heißen solle. Am 17. Mai 2021 weihte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble vor dem Gebäude eine von Bertrand Freiesleben geschaffene Porträtbüste Erzbergers ein.